Auswirkungen der Politik auf die Börsenkurse

Politische Börsen haben kurze Beine?

 

„Sell in May and go away, but remember to come back in September.“

Alte Börsenweisheit

 

Politische Börsen, so lautet eine der meistzitierten Börsenweisheiten am glatten Handelsparkett, haben kurze Beine. Die Auswirkungen der weltpolitischen Geschehnisse seien flüchtig und kurzlebig, wie die Karrieren mancher gefeierter und hochgejubelter Politiker, deren Stern, kaum am Firmament aufgegangen, sogleich wie eine Sternschnuppe verglüht.

Doch so einfach stellt sich der Sachverhalt in der Realität durchaus nicht dar: Politischen Umwälzungen, neuen Ideologien und wegweisenden Volksentscheiden kommt eine hohe wirtschaftliche Bedeutung zu. Zwei Faktoren sind in der Folge ausschlaggebend dafür, ob die wirtschaftlichen Auswirkungen auch die Kurstafeln der internationalen Börsenplätze tangieren: Börsenkurse werden durch die Handlungen der politischen Akteure vor allem dann beeinflusst, wenn diese unerwartet erfolgen und wenn die Konsequenzen dieser Handlungen nachhaltig sind, also über das rein tagespolitische Geschehen hinausreichen.

Die Aussage, dass politische Börsen kurze Beine haben, ist dennoch oftmals richtig, dies jedoch allein aufgrund einer fehlenden zeitlichen Parallelität der Ereignisse. Börsen handeln nicht die gegenwärtigen, sondern zukünftige Ereignisse, wobei die Händler diese nach ihren subjektiven Eintrittswahrscheinlichkeiten gewichten. Wurde der Eintritt eines bestimmten Ereignisses von der Mehrzahl der Marktteilnehmer bereits erwartet, ist er demzufolge bereits großteils in den Kursen eingepreist. Zum Zeitpunkt des tatsächlichen Eintritts dieses erwarteten Ereignisses kommt es nochmals zu einer kurzen Bestätigung der bereits eingepreisten Markttendenz, kurz danach drehen die Kurse meist schnell in die andere Richtung, es handelt sich um nichts anderes als das klassische Phänomen des fait accompli.

Ist das von der Mehrheit der Akteure erwartete Ereignis, sei es nun positiv oder negativ, endlich eingetreten, macht sich Erleichterung im Markt breit. Die Unsicherheit ist aus den Kursen verschwunden und die Händler können ihre Gebote an die nun sicheren Tatsachen anpassen, sie zucken mit den Schultern und wenden sich nüchtern ihren Geschäften zu. Dieses Phänomen zeigte sich in der Börsengeschichte häufig, vor allem im Falle von Kriegen: Als die US Amerikaner im Jahre 2003 im Irak einmarschierten, hatten die internationalen Börsen in den Tagen vor Kriegsbeginn eine steile Talfahrt erlebt. Gleichzeitig mit Beginn der tatsächlichen Kampfhandlungen kam das Phänomen des fait accompli zum Tragen: Vor die vollendeten Tatsachen des nun stattfindenden Krieges gestellt, begannen die Börsianer zu kaufen, innerhalb weniger Tage schnellten die Kurse nach oben und stiegen in weiterer Folge bis zum Ausbruch der Finanzkrise in den Jahren 2007 und 2008.

Wir schreiben nun das Jahr 2017: Die britische Regierung beginnt, mit Berufung auf Artikel 50 des Vertrags über die Europäische Union, mit den Verhandlungen über den Austritt aus der EU. In den eben ausgerufenen Neuwahlen will sich Premierministerin Theresa May ein stabiles Mandat beschaffen und ruft die Bevölkerung dazu auf, ihr durch einen überwältigenden Wahlsieg den Rücken in den Austrittsverhandlungen mit den verbliebenen EU-Mitgliedsstaaten zu stärken. Diese politischen Börsen werden keinesfalls auf kurzen Beinen marschieren, sie werden auf Jahre hinaus die Kurstendenzen bestimmen. Das Vereinigte Königreich kann sich, sobald es wieder über die volle rechtliche, wirtschaftliche und politische Souveränität verfügt, zu einem dynamischen Spieler in der globalen Wirtschaft entwickeln, gleichsam zu einem europäischen Singapur mutieren. Beflügelt durch die Abwertung des Britischen Pfund könnten führende britische Unternehmen einen signifikanten Kostenvorteil erringen, die von vielen erhoffte und ersehnte Renaissance der verarbeitenden Industrie Englands tatsächlich Realität werden. Während der Finanzsektor, die City, am stärksten unter dem Austritt Großbritanniens aus dem Binnenmarkt leiden wird, sollten global agierende Konzerne, deren Kostenbasis und Börsennotiz sich in Großbritannien befindet, zu den großen Profiteuren des EU-Austritts zählen. Dazu gehören Ölunternehmen wie etwa BP, deren Umsätze in US Dollar erfolgen, die Verwaltungskosten jedoch zu einem bedeutenden Teil in einem nun deutlich schwächeren Pfund abgerechnet werden.

Ein kleiner Sprung von der britischen Insel auf den Kontinent führt uns nach Frankreich, das ebenfalls vor einem politischen Wandel steht. Emmanuel Macron gelang mit einem überwältigenden Wahlsieg die politische Sensation des noch relativ jungen Jahres 2017. Im zweiten Wahldurchgang besiegte er, mit rund zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, seine rechtspopulistische Rivalin Marine Le Pen klar und ist nun designierter Präsident Frankreichs. Die sozialistische Partei, in deren Regierung Macron das Ministeramt ausübte, liegt in Trümmern, die Republikaner sind vernichtend geschlagen. Macrons Sieg gelang, was umso bemerkenswerter ist, mit einem dezidiert proeuropäischen Wahlkampf. Sein Ziel ist es, die alte deutsch-französische Achse wiederzubeleben und als Motor und Triebkraft Europas einzusetzen. Noch leistet Deutschland erbittert Widerstand, doch der süße Sirenengesang einer harmonisierten europäischen Steuerpolitik, eines gemeinsamen Budgets und gemeinsam platzierter europäischer Anleihen übt vor allem auf die Mittelmeerstaaten eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus. Gelingt es Macron, nachdem im Herbst die deutschen Bundestagswahlen geschlagen sind, den bisherigen Konsens und das deutsche Stabilitätskorsett aufzubrechen, dürfte dies einen weiteren Wachstumsschub bewirken und die europäische Binnennachfrage erheblich beflügeln.

Profiteure einer solchen Entwicklung wären mit Sicherheit zahlreiche große europäische Konsumgüterhersteller wie etwa L’Oreal, aber auch Vertreter der zyklischen chemischen Industrie wie BASF oder der Baustoffhersteller LafargeHolcim. Die beiden großen französischen Automobilkonzerne Renault und PSA dürfen in diesem Zusammenhang keinesfalls vergessen werden, sie verfügen nach einer jahrelangen, konsequenten Sanierungspolitik über schlanke Kostenstrukturen und eine deutlich verbesserte Modellpalette.

Die Politik dominiert das Börsengeschehen jedoch nicht nur am europäischen Kontinent. In den USA ging für die Administration Trump vor kurzem eine turbulente erste 100 Tage Periode zu Ende. Die republikanische Mehrheit im Kongress sieht sich einer geeinten, erbittert Widerstand leistenden demokratischen Opposition gegenüber. Die Umsetzung wichtiger Reformprojekte wie Steuersenkungen, Deregulierungen und die Neuordnung der Gesundheitspolitik dauert länger als ursprünglich erwartet. Doch selbst im Falle einer Verzögerung oder einer Verwässerung der geplanten Regierungsvorhaben winken den Anlegern erhebliche Kursgewinne. Besondere Chancen bietet der Finanzsektor, der von einer Deregulierung, der Rücknahme wichtiger Teile des Dodd Frank Regulierungsgesetzes sowie einer Senkung der Körperschaftssteuer profitieren sollte. Attraktiv bewertet ist unter anderem die führende Geschäftsbank JP Morgan Chase. Chancenreiche Investments bietet dem Anleger auch der Luftfahrtsektor, Flugunternehmen sollten ebenfalls zu den Nutznießern einer liberalen Steuer- und Regulierungspolitik zählen. Zu den führenden Airlines gehört unter anderem Delta Airlines.

Politische Börsen bieten dem aktiven Anleger durch die von ihnen verursachten Kursschwankungen interessante Investmentgelegenheiten, sie können jedoch auch durchaus amüsant sein, wenn sie die Geister einer bereits überwunden geglaubten Vergangenheit neu heraufbeschwören. Die Präsidentschaft Barack Obamas ist zwar bereits zu Ende und seine designierte Nachfolgerin und ideologische Erbin Hillary Clinton erlitt eine schwere Wahlniederlage, dennoch gelingt es beiden nicht, die Vergangenheit ruhen zu lassen und einen neuen Lebensabschnitt einzuschlagen. Wie in der US-Komödie What about Bob?  mit dem begnadeten Schauspieler Bill Murray, der seinen Therapeuten während dessen Sommerurlaubes durch sein obsessives, neurotisches Verhalten tatsächlich in den Wahnsinn treibt, betreten Obama und Clinton wieder und wieder die politische Bühne, als die Geister, die keiner rief….