Der Kampf der Titanen

 

„Eine lange Reise beginnt mit dem ersten Schritt“

Chinesisches Sprichwort

Im Jahr 1986 begann die lange Reise der Volksrepublik China mit dem Ansuchen um einen Beitritt zum GATT, dem Vorgänger der Welthandelsorganisation WTO, und dem zu diesem Zeitpunkt beinahe unerreichbar scheinenden Ziel, als erster kommunistischer Staat Teil dieser internationalen Gemeinschaft marktwirtschaftsorientierter, globaler Handelsnationen zu werden.

Das vorläufige Endziel dieser chinesischen Odyssee wurde schließlich am 11. Dezember des Jahres 2001 erreicht, als die Volksrepublik das 142. Mitglied der Welthandelsorganisation WTO wurde, und das, ohne bisher den Status einer Marktwirtschaft zugesprochen bekommen zu haben. Eine zentral regierte, kommunistische Planwirtschaft, mit einem auf Lebenszeit ernannten Präsidenten und einer nicht frei konvertiblen, durch die Zentralbank manipulierten Währung ist somit mehr als 16 Jahre später der gemessen an seiner Wirtschaftskraft zweitgrößte Mitgliedsstaat der WTO und befindet sich auf dem besten Weg dazu, die USA als bedeutendste Wirtschaftsmacht abzulösen.

Die Volksrepublik China ist heute mehr denn je integraler Bestandteil der Weltwirtschaft und glänzt durch beständig hohe Wachstumsraten. Während jedoch China in den Jahren 2009 und 2010 mittels staatlicher Ausgaben- und Investitionsprogramme einen entscheidenden Beitrag zur globalen Erholung nach den Verwerfungen der Finanzkrise leistete, trug die Volksrepublik in den letzten Jahren mehr und mehr selbst zu den anhaltenden wirtschaftlichen Ungleichgewichten bei, die womöglich den Grundstein für die nächste globale Wirtschaftskrise bilden.

Die Handelsbilanzüberschüsse Chinas sind, genauso wie in zunehmendem Ausmaß diejenigen der Europäischen Union, Quelle globaler, makroökonomischer Instabilitäten. Die jährlich ausgewiesenen Wachstumsraten Chinas lösen regelmäßig Erstaunen und vielerorts neiderfüllte Bewunderung aus, können jedoch keinesfalls länger als nachhaltig und gesund betrachtet werden. Die Volksrepublik erzielt Jahr für Jahr beinahe exakt diejenigen Wachstumsraten, die die Planstellen des Politbüros in ihren 5-Jahresplänen vorgeben, ungeachtet der konjunkturellen Verfassung der übrigen Welt, von deren Importnachfrage die chinesische Volkswirtschaft so abhängig ist. Drohen die Zuwachsraten nur minimal nach unten abzuweichen, steuert die Regierung unverzüglich mit massiven, kreditfinanzierten Ausgabenprogrammen dagegen und bringt die schlingernde Wirtschaft raschmöglich wieder auf Kurs.

Das strategische Ziel der chinesischen Führung scheint dabei klar ersichtlich und bringt das Reich der Mitte zunehmend auf Konfrontationskurs mit den USA, die im Kampf der Titanen mit der Volksrepublik immer öfter den Kürzeren ziehen. In den Jahren 2014 bis 2016 exportierte China Waren und Güter im Wert von 467, 482 und 463 Milliarden US Dollar in die USA, importierte im selben Beobachtungszeitraum aber nur Waren im Ausmaß von 124 und jeweils 116 Milliarden Dollar. Dieser gewaltige Handelsbilanzüberschuss bedeutet im Gegenzug ein gigantisches Defizit in der Handelsbilanz der USA, ohne jede Tendenz zu einer Verkleinerung oder gar Trendumkehr.

Zahlreiche Ökonomen, die vor einem drohenden Handelskrieg und einer Störung der liberalen, globalen Marktordnung warnen, wischen diese Zahlen leichtfertig beiseite. Die amerikanischen Konsumenten würden doch von den günstigen chinesischen Importwaren profitieren. Während China preisgünstige Produkte im verarbeitenden, exportorientierten Gewerbe erzeugt, hätten die USA signifikante Vorteile in der Dienstleistungsbranche.

In Wahrheit kommt es jedoch seit Jahren zu einer schleichenden und gefährlichen Erosion der amerikanischen industriellen Basis, mit letalen Konsequenzen für Industrie, Hochtechnologie und die militärische Vorherrschaft. Aus Sicht der liberalen, urbanen Eliten an der Ost- und Westküste mag der Handel mit China überwiegend Vorteile mit sich bringen, die einst so stolzen Industriebetriebe des Rust Belt sterben jedoch einen langsamen, tragischen Tod.

Der entscheidende Faktor, oft übersehen und vielfach falsch interpretiert, ist folgender: Die Kehrseite der Handelsbilanz stellt die Kapitalverkehrsbilanz dar, sie bilden zusammen zwei Seiten einer Medaille. Defizite in der Handelsbilanz sind mit der Notwendigkeit, ausländisches Kapital zu importieren, gleichzusetzen. Umgekehrt exportieren Länder mit einer positiven Handelsbilanz Kapital ins Ausland.
Da die USA regelmäßig mehr konsumieren als sie selbst produzieren, sind sie gezwungen dieses Defizit mit importiertem chinesischem Kapital zu finanzieren. Chinas (und auch Deutschlands) „Erfolgsmodell Export“ ist nur deshalb durchführbar, weil der Exporteur selbst die unnatürlich hohe Nachfrage seiner Kunden durch die Vergabe von Krediten fördert und stützt. Die gewaltigen, durch Exportüberschüsse generierten Einnahmen können ausschließlich am breiten, aufnahmefähigen amerikanischen Kapitalmarkt untergebracht und investiert werden. China ist gezwungen, Monat für Monat Milliardenbeträge in amerikanische Staatsanleihen zu investieren, mehr und mehr werden die Devisenreserven jedoch auch dafür verwendet, strategische Beteiligungen an zukunftsträchtigen Hochtechnologieunternehmen zu erwerben.

Die günstigen Handelswaren, die der amerikanische Konsument in den Regalen von Walmart findet, werden um einen teuren Preis erkauft: Den Ausverkauf der strategisch wichtigen industriellen und technologischen Basis an die Gläubiger- und Exportnation China. Der angedrohte Handelskrieg sollte daher weder die USA noch Europa schrecken, die beiden Wirtschaftsblöcke sollten vielmehr Schulter an Schulter um eine Neuordnung des Welthandels ringen. Die Anklage des vermeintlichen Protektionismus steht drohend im Raum, in Wahrheit handelt es sich jedoch um nichts anderes als die Forderung nach einer längst überfälligen Anwendung des Prinzips der Reziprozität.

China muss und soll alle Wirtschaftssektoren für ausländische Investoren öffnen, der Marktzugang in Europa und den USA soll nur dann gewährt werden, wenn amerikanische und europäische Exporteure ihre Erzeugnisse unter identischen Bedingungen am chinesischen Markt vertreiben dürfen.
Langwierige und zähe, von gegenseitigen Drohungen begleitete Verhandlungen stehen bevor. Die Börsenkurse an den internationalen Kapitalmärkten reagieren bereits jetzt höchst sensibel auf jede Meldung, jedes Gerücht über drohende Strafzölle, Handelsbeschränkungen oder gar die mögliche, aber unglaubwürdige Umschichtung von Chinas Währungsreserven aus dem Dollarraum. Sofern das Ziel und die angestrebte Kompromisslösung ein verbesserter und erweiterter Zugang zum wachstumsstarken chinesischen Markt darstellt, sollte dies langfristig positive Auswirkungen auf die Börsenentwicklung haben.

Ein neugeordneter Welthandel, basierend auf den Grundsätzen von Fairness und Reziprozität, der ebenfalls Rechtssicherheit und den Schutz von Eigentumsrechten sowie Investitionen garantiert, schafft breiten Wohlstand und nachhaltiges Wachstum. Weder China noch die USA können sich eine Politik der Abschottung und des Isolationismus erlauben. Wenn das Schlachtgetöse verklungen und der Pulverdampf verzogen ist, wird das wahrscheinlichste Endresultat daher eine Kompromisslösung bilden, die beiden Seiten einen verbesserten Marktzugang und weniger Barrieren für Handel und Investitionen verspricht.