Der US-Aktienmarkt

 

Morning in America (again)

 

“I’ve spoken of the shining city all my political life, but I don’t know if I ever quite communicated what I saw when I said it. But in my mind it was a tall proud city built on rocks stronger than oceans, wind-swept, God-blessed, and teeming with people of all kinds living in harmony and peace, a city with free ports that hummed with commerce and creativity, and if there had to be city walls, the walls had doors and the doors were open to anyone with the will and the heart to get here. That’s how I saw it and see it still …”

Ronald Wilson Reagan; Abschiedsrede an die Nation, 1989

 

Im Jahre 1630 beschwor John Winthrop in seiner flammenden Predigt an eine Gruppe puritanischer Kolonialisten, die voller Hoffnung auf eine bessere Zukunft in das ferne Amerika aufbrachen, sein Bild einer strahlenden, bis in weite Ferne glänzenden Stadt auf dem Hügel. Diese Stadt, dieses Sinnbild einer besseren Welt, ist nichts weniger als ein Symbol für die neue Welt, ein Symbol des amerikanischen Exzeptionalismus. Auf sie sollten in den darauffolgenden Jahrhunderten die Augen einer staunenden Welt gerichtet sein, sie wurde zum Vorbild für die restlichen Nationen und für all jene Menschen, die sich voller Hoffnungen auf den Weg in eine neue, fremde Heimat und eine ungewisse, aber viel versprechende Zukunft machten.

In den 80er Jahren, als die USA von den Wunden des verlorenen Vietnam Krieges, einer galoppierenden Inflation und eines wiedererstarkenden Sowjetreiches gezeichnet schienen, vermochte Präsident Reagan der Nation mit seinen tiefgreifenden Wirtschaftsreformen neue Zuversicht einzuhauchen. Es gelang ihm die Ideologie der Stagnation, die malthusianische Idee der naturgegebenen Knappheit der Ressourcen und der damit verbundenen Grenzen des Wachstums zu diskreditieren und die Planwirtschaften der UDSSR auf wirtschaftlichem Wege zu besiegen.

Nun, mehr als 30 Jahre später, bietet sich dem Investor die Chance, an den Wachstums- und Gewinnchancen eines neuen amerikanischen Zeitalters zu partizipieren. Wie vor 30 Jahren stehen einander 2 diametral entgegengesetzte Denkschulen gegenüber: Die Vertreter eines statischen, malthusianischen Weltbildes einerseits, verkörpert von Ökonomen wie dem ehemaligen Finanzminister Larry Summers und seiner Theorie der secular stagnation, und die vielen Kleinunternehmer und Wirtschaftstreibenden andererseits, die sich nach neuen Wachstumsimpulsen und einem Wiedererwachen des tief schlummernden amerikanischen Unternehmergeistes sehnen.

Die USA besitzen das Potenzial, um weitaus stärker als die derzeit erreichten, jährlichen mageren 2 Prozent zu wachsen. Befreit von den bleiernen Fesseln einer bürokratischen Überregulierung, einem wirtschafts- und bankenfeindlichen Weißen Haus und einer erdrückenden Steuerlast bietet sich im Jahr 2017 die Chance auf eine Verdoppelung der jährlichen Wachstumsrate auf rund 4 Prozent.

Dieses Projekt 4 Prozent bedeutet für den Aktien Investor nichts weniger als ein völliger Paradigmenwechsel. Vorbei sind die Zeiten der Stagnation des Wachstums, der Stagnation der Preisentwicklung und der daraus folgenden Stagnation der Aktienkurse. Bereits in den wenigen Handelstagen seit dem Ende der Präsidentschaftswahl verzeichneten die weltweiten Börsen einen signifikanten Kursaufschwung. Der marktbreite S&P 500 Kursindex schloss am 08. November 2016 bei 2139,56 Indexpunkten. Innerhalb einer Zeitspanne von nur 10 Tagen stieg er, entgegen aller Unkenrufe zahlreicher so genannter Experten, bis Freitag den 18. November auf einen Schlusskurs von 2181,90 Punkten. Dies ergibt einen Kursgewinn von knapp 2 Prozent in nur 8 Handelstagen. Der Russell 2000 Index, ein Index, der die 2000 kleinsten nach Marktkapitalisierung gewichteten US-Unternehmen des Russell 3000 Index enthält und somit einen deutlich besseren Gradmesser für die amerikanische Wirtschaft darstellt, stieg im selben Zeitraum um beeindruckende 10 Prozent.

Selbst langfristig orientierte Value Investoren müssen ihre Handelsstrategie in diesem Marktumfeld neu ausrichten: Das Ende einer Epoche, in der ein Wirtschaftswachstum von 2 Prozentpunkten nicht nur als Normalität sondern vielmehr als das Nonplusultra angesehen wurde, bedeutet eine verminderte Attraktivität so genannter Anleihen – Surrogate. Dieser Begriff umfasst all jene Aktien, deren Attraktivität vornehmlich in der Stabilität der Dividendenzahlungen und der niedrigen Sensibilität gegenüber konjunkturellen Schwankungen besteht, all jene Aktien also, die anleihenähnliche Charakteristika aufweisen. Hierzu zählen Sektoren wie Telekommunikation, Versorger, Versicherungen oder Basiskonsumgüter. Sie weisen eine überdurchschnittlich hohe Bewertung und in Zeiten steigender Anleihenrenditen somit auch ein überdurchschnittlich hohes Rückschlagspotenzial auf. Die Refinanzierung ihrer hohen Verbindlichkeiten, angehäuft in einer Periode historisch niedriger Zinssätze, wird die zukünftigen Erträge schmälern, gleichzeitig ist es fraglich, ob es den Unternehmen gelingt, ihre Erlöse an ein insgesamt steigendes Preisniveau anzupassen.

Kleinere und mittelgroße Unternehmen hingegen, wie sie in Indizes wie dem Russell 2000 vertreten sind, werden überproportional von einer Wiederbelebung der amerikanischen Wirtschaft profitieren. Chancenreiche Investmentgelegenheiten bietet dem wertorientierten Anleger auch der Bereich Infrastruktur: Investoren, die unserer Empfehlung aus der ersten Ausgabe des ValueInvestor Börsenbriefes gefolgt sind und in Aktien von Caterpillar investiert haben, konnten beispielsweise zweistellige Kursgewinne verzeichnen.

Neben den bereits erwähnten Kursgewinnen vermag der europäische Investor auch beachtliche wechselkursbedingte Zusatzerträge einzufahren. In den 10 Handelstagen seit der US–Präsidentschaftswahl wertete der US Dollar gegenüber dem Euro um mehr als 4 Prozent auf, ein Investment in dem marktbreiten S&P 500 brachte dem europäischen Anleger somit einen Gesamtertrag (Kursgewinne plus Aufwertungsgewinne) von rund 6 Prozent. Attraktive Gewinnchancen bieten auch Unternehmen, die signifikante Bargeldbestände außerhalb der USA halten. Diese Unternehmen, zu ihnen zählen unter anderem Apple, Cisco Systems, Microsoft, Oracle oder Pfizer, könnten zu den größten Profiteuren der geplanten Steuerreform zählen.

Gemäß dem derzeit geltenden Steuerrecht müssen US Unternehmen, sofern sie ihre im Ausland erzielten Erträge in die USA transferieren, diese zusätzlich mit der amerikanischen Körperschaftssteuer von aktuell 35 Prozent versteuern, sie belassen ihre erwirtschafteten Bareinnahmen somit in der Regel lieber im Ausland.

Eine Einmalbesteuerung dieser Barbestände (sie belaufen sich aktuell auf geschätzte 2,5 Billionen US Dollar) im Ausmaß von 10 Prozent könnte beachtliche Einnahmen für den amerikanischen Fiskus generieren und die geplante Infrastrukturoffensive im Ausmaß von 1 Billion US Dollar mitfinanzieren. Der Clou für den Anleger: Wie bereits im Jahre 2004, als die Regierung Bush ein ähnliches Steuerpaket verabschiedete, ist zu erwarten, dass die Unternehmen einen Großteil der repatriierten Gelder als Sonderdividenden an ihre Aktionäre ausschütten werden.

Das folgende Beispiel zeigt auch, wie falsch zahlreiche Ökonomen und so genannte Wirtschaftsexperten liegen, die vor einer überbordenden Verschuldung und einem drohenden Finanzkollaps der USA warnen:

Sollten die amerikanischen Unternehmen die Gelegenheit nützen und rund 2 Billionen ihrer ausländischen Barbestände von insgesamt 2,5 Billionen US Dollar repatriieren, ergibt dies bereits direkt einen Fiskalertrag von rund 200 Milliarden US Dollar (Sondersteuer von 10 Prozent). Da die betreffenden Unternehmen jedoch einen Großteil der Gelder als Sonderdividenden an ihre Aktionäre ausschütten werden (Annahme einer Quote von 60 Prozent), bedeutet dies bei einer derzeit gültigen Steuer von 15 Prozent auf Kapitaleinkünfte einen zusätzlichen, indirekten Fiskalertrag von weiteren 180 Milliarden US Dollar. Da die geplanten Infrastrukturinvestitionen von rund 1 Billion US Dollar im Rahmen eines Public Private Partnership Konzeptes verwirklicht werden sollen, könnten diese Investitionen ohne eine Ausweitung der Staatsverschuldung umgesetzt werden, da alleine die Sondererträge aus der geplanten Unternehmenssteuerreform ausreichen würden, um den öffentlichen Anteil an den Infrastrukturausgaben zweckgebunden zu finanzieren.

Die geplante Senkung der Unternehmensbesteuerung von derzeit 35 Prozent auf 15 Prozent des Jahresgewinnes wird für eine Ertragsexplosion der börsennotierten Unternehmen sorgen. Hierzu ein Beispiel:

Ein mittelgroßes Unternehmen das keine Verlustvorträge und steuermindernden Schlupflöcher nützen kann, zahlt derzeit pro 100 Dollar Jahresgewinn 35 Dollar Körperschaftssteuer, dies ergibt einen Nettogewinn von 65 Dollar. Geht man vereinfachend davon aus, dass das Grundkapital dieses Unternehmens auf eine einzige Aktie aufgeteilt ist, beträgt der aktuelle Gewinn pro Aktie somit 65 US Dollar. Ist das Unternehmen mit  dem Durchschnitts–KGV von derzeit 18 bewertet, ergibt dies einen Aktienkurs von 1170 US Dollar (Gewinn von 65 Dollar pro Aktie multipliziert mit dem KGV von 18).

Nach erfolgreicher Umsetzung der Steuerreform wird der Steuersatz auf 15 Prozent sinken, dasselbe Unternehmen erwirtschaftet somit einen Gewinn von 85 Dollar pro Aktie. Multipliziert mit dem identischen KGV von 18 ergibt dies einen neuen Aktienkurs von 1530 US Dollar. Der faire Aktienkurs steigt somit um 30 Prozent.

Die republikanische Mehrheit im Kongress bedeutet, dass die geplante Steuerreform in Abstimmung mit dem Präsidenten bereits in wenigen Monaten umgesetzt werden dürfte. Die Impulse aus dieser Reform, verbunden mit der Infrastrukturoffensive und der Reduktion der bürokratischen Hürden, werden den Startschuss für einen neuen Bullenmarkt geben. Ein Anstieg des amerikanischen S&P 500 um zumindest 20 Prozent in den kommenden 12 Monaten ist durchaus realistisch. Dies ergibt ein Kursziel von rund 2600 Indexpunkten. Die schwache Weltkonjunktur und die instabile Situation der Euro–Staaten sorgen für einige Restrisiken, eine zu schnelle Aufwertung des US Dollar sowie ein zu rascher Anstieg der Anleihenzinsen könnten den Anstieg der Börsenkurse dämpfen. Wie zu Beginn der 80er Jahre, als Präsident Reagan einen neuen Optimismus an den Märkten entfachte, sollte auch im ausgehenden Jahr 2016 und im Jahr 2017 ein breiter Anstieg der Aktienkurse einsetzen. Das von John Winthrop beschworene Bild der glänzenden, strahlenden Stadt auf dem Hügel verheißt auch für Anleger eine glänzende Zukunft. Sie werden dabei vielleicht auch an das Zitat von Mark Twain denken, der einst sagte: „Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich“